Kann ein Vermittlungsausschuss die Frage nach einer Aufzeichnung der strafgerichtlichen Hauptverhandlung klären?
Die Aufzeichnung der Verhandlung im Strafprozess steht am Mittwoch auf der Tagesordnung im Vermittlungsausschuss. Beraten wird aber wohl nicht. Wie stehen die Chancen für einen Kompromiss bei dem umstrittenen Justiz-Thema?
Am Mittwoch dürften sich viele Augen im politischen Berlin auf den Vermittlungsausschuss richten: Dieser berät nämlich über das Wachstumschancengesetz. Weniger richtungsweisend für das Schicksal der taumelnden Ampelkoalition, aber für Anwaltschaft und Justiz vielleicht die Themen der Legislatur sind die Punkte 3 und 4 der Tagesordnung: Das Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz (DokHVG) und das Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten. Es sind zentrale Vorhaben von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) auf dem Weg zu mehr Digitalisierung in der Justiz. Vor allem das DokHVG ist nach wie vor zwischen Bund und Ländern, aber auch in der Fachöffentlichkeit extrem umstritten.
So weit fortgeschritten sind die Vorverhandlungen aber offenbar noch nicht. Debattierreif soll da noch nichts sein. Am Mittwoch wird nach LTO-Informationen deshalb zwar sowohl die Dokumentation im Strafprozess als auch die Videoverhandlung im Zivilprozess als Thema aufgerufen werden. Beratungen sind aber nicht geplant. Die werden dann vertagt. Einen Folgetermin gibt es laut Pressestelle des Bundesrats noch nicht.
Warum sind die Gesetzesvorhaben überhaupt im Vermittlungsausschuss gelandet? Die Ampelkoalition hatte in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, Vernehmungen und Hauptverhandlungen im Strafverfahren in Bild und Ton aufzeichnen lassen zu wollen. Weil das bisher im Gerichtssaal gefertigte Protokoll nur wesentliche Formalia enthält, sind Verfahrensbeteiligte und Richter auf eigene Notizen angewiesen. Das soll sich durch die Aufzeichnung ändern. Was in einigen europäischen Staaten wie zum Beispiel Spanien, Schweden oder Großbritannien bereits gängige Praxis ist, soll auch in Deutschland kommen.
Von Beginn an kontrovers
Doch schon der Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium (BMJ) war in der Fachöffentlichkeit stark umstritten. Der deutsche Anwaltverein (DAV) steht hinter dem Projekt. Er erwartet eine Stärkung der Wahrheitsfindung und eine Entlastung für Richter und Verfahrensbeteiligte.
Ganz anders aber die Generalstaatsanwälte und der Deutsche Richterbund, der größte Interessenverband der Richter und Staatsanwälte in Deutschland: Sie kritisierten, der Entwurf werfe mehr Probleme auf, als er löse. Die Umsetzung wäre ein gewaltiger Mehraufwand und stehe zum erwarteten Nutzen in keinem Verhältnis. Zudem könne die Videoaufzeichnung das Aussageverhalten von Zeugen nachteilig beeinflussen und diese, insbesondere Geschädigte, in Gefahr bringen.
Infolge dieser Kritik entschärfte Justizminister Buschmann den Entwurf: Die Videoaufzeichnung soll nun nur noch optional sein, die Länder sollten mehr Zeit für die Umsetzung bekommen.
Widerstand aus den Ländern
Doch die stellten sich im Bundesrat trotzdem quer. Schon die einzuführende digitale Akte bereite ihren Gerichten erhebliche Schwierigkeiten. Vor diesem Hintergrund sei die entschärfte Umsetzungsfrist für die geplante Aufzeichnung zum 1. Januar 2030 immer noch "viel zu kurz bemessen", so der Rechtsausschuss des Bundesrates. Im Übrigen machten die Länder die Kritikpunkte stark, die schon aus Generalstaatsanwaltschaften und Richterbund kamen.
Nachdem im Rechtsausschuss elf Länder den Gesetzentwurf abgelehnt und kein (!) Land zugestimmt hatte, rief das Plenum den Vermittlungsausschuss an.
Kann man die Blockade auflösen?
Auch wenn die Lage verfahren wirkt, bestehen doch gute Chancen, die Blockadesituation aufzulösen. Denn man könnte den Ländern mit zwei Anpassungen wohl ihre Überforderungsangst nehmen – denn die ist offenbar der Hauptgrund für ihre Ablehnung.
Erster offensichtlicher Ansatzpunkt ist die Umsetzungsfrist. In der Anrufung des Vermittlungsausschusses machen die Länder einen erheblichen Umsetzungsaufwand geltend. Sitzungssäle müssten umgebaut, Hard- und Software beschafft und Technik in Betrieb genommen werden. Um die Belastung zu verringern, könnte man die Umsetzung des Projekts entzerren – und die Umsetzungsfrist ein zweites Mal nach hinten verschieben.
Der zweite Ansatzpunkt ist die Ausgestaltung der automatischen Transkription der Tonaufzeichnung. Vor allem von hier kommt die Angst der Länder vor einem nicht zu bewältigenden Aufwand. Sie machen insbesondere hier das Missverhältnis von Nutzen und Aufwand aus: Auch bei Vorliegen einer Tonaufzeichnung würden eigene Mitschriften erforderlich bleiben, weil die Technik immer versagen könne. Der Mehraufwand ergebe sich vor allem bei der Prüfung von Verlässlichkeit und Qualität des Transkripts. Auch wenn der Entwurf keine menschliche Kontrolle vorsieht – die Länder befürchten, dass dies wegen des Stands entsprechender Software nötig sein wird. Somit könnte sich aus ihrer Sicht der Aufwand wegen der Transkription neben dem Protokoll verdoppeln.
Auch insofern könnte eine längere Umsetzungsfrist helfen: Je später die Einführung, desto weiterentwickelter die Transkriptionssoftware. Zudem könnte zur Klarstellung in das Gesetz aufgenommen werden, dass es keine händische Überprüfung des Transkripts geben soll. Damit ist natürlich noch keine Lösung für die Praxis erzielt, was das dann für eventuell fehlerhafte Transkripte bedeutet.
Was passiert, wenn es keinen Kompromiss gibt?
Die Bundesregierung täte im eigenen Interesse gut daran, den Ländern entgegenzukommen. Denn beim DokHVG handelt es sich zwar bloß um ein Einspruchsgesetz. Doch war die Ablehnung der Länder bisher deutlich.
Wenn die Länder sich zum fortgesetzten Widerstand gegen die Pläne entschließen und mit 2/3-Mehrheit Einspruch erheben, braucht der Bundestag ebenfalls eine 2/3-Mehrheit, um sie zu überstimmen. Die Mehrheit der Regierungsfraktionen würde dann nicht ausreichen – und aus der für Anwaltschaft und Justiz wichtigen rechtspolitischen Frage um die Dokumentation der Hauptverhandlung am Ende vielleicht doch eine Frage großer Politik.
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